Rund hunderttausend Menschen haben vergangenen Samstag im norditalienischen Vicenza gegen den Ausbau des US-Militärstützpunkts Ederle demonstriert. Der Zug war sechs Kilometer lang und richtete sich sowohl gegen den US-Krieg im Nahen Osten als auch gegen die Außenpolitik der italienischen Regierung von Romano Prodi.
"Prodi Vergogna" (Schande über Prodi) hieß es auf vielen Plakaten. Die Menschen, die aus allen Teilen Italiens gekommen waren, trugen Hunderte Transparente, Regenbogenfahnen und handgemalte Plakate gegen den Krieg. Die Demonstration verlief vollständig friedlich, obwohl Regierung und Medien pausenlos vor Terrorakten gewarnt hatten. In der Innenstadt von Vicenza waren Gullydeckel zugeschweißt worden, Tausende Polizisten und Carabinieri waren im Einsatz, und über der Stadt kreisten ununterbrochen Polizeihubschrauber.
Die Demonstranten forderten im Wesentlichen ein sofortiges Ende an jeder Beteiligung Italiens an militärischen Interventionen. "Es geht nicht nur um den amerikanischen Stützpunkt", sagte eine Teilnehmerin zu Reuters. "Es geht doch darum, dass von dieser Basis Bombenflugzeuge direkt in Länder starten, die sich im Krieg befinden."
Am Ende der Veranstaltung traten die Schauspieler, Stückeschreiber und Literatur-Nobelpreisträger Dario Fo und Franca Rame mit einem eigens geschriebenen Theaterstück auf. Fo erklärte der Presse, er sei gegen jeden derartigen Militärstützpunkt, egal ob italienisch oder amerikanisch. Er warnte, Vicenza könne bei einem möglichen militärischen Konflikt selbst zum Zielobjekt werden.
Der Ausbau von Vicenza hat die Unterstützung der Prodi-Regierung. Ministerpräsident Romano Prodi hat die Entscheidung seines Vorgängers Silvio Berlusconi Anfang des Jahres ausdrücklich bestätigt und die Erweiterung des Truppenstützpunktes genehmigt.
Der Ausbau der Ederle-Kasernen und des Militärflughafens Dal Molin in Vicenza ist für die US-Armee von großer Bedeutung. Heute werden auf italienischem Boden mehr US-Soldaten zusammengezogen als am Ende des zweiten Weltkriegs und während des kalten Kriegs. Das Pentagon ist dabei, seine in Europa stationierten Truppen im Hinblick auf einen Angriff auf den Iran neu zu formieren, wobei Italien schon aus geographischen Gründen eine wichtige Rolle spielt.
Vicenza soll bis 2010 zum wichtigsten europäischen US-Stützpunkt für Einsätze in Europa, im Nahen Osten und in Afrika ausgebaut werden, hier wird die ganze 173. US-Luftlandebrigade konzentriert, deren Einheiten heute zum Teil noch in Bamberg und Schweinfurt stehen. Diese Brigade hat die Irak-Invasion von 2003 mitgemacht und kämpft in Afghanistan.
Weitere wichtige Stützpunkte der US-Armee in Italien sind Camp Darby bei Pisa, Sigonella auf Sizilien und Gaeta, Taranto und Neapel für die Marine. Nur hundert Kilometer von Vicenza liegt der Luftwaffenstützpunkt Aviano am Fuß der Dolomiten, wo laut der Zeitung il manifesto mindestens fünfzig taktische Nuklearbomben für einen atomaren Angriff bereitgehalten werden.
Italien ist seit dem zweiten Weltkrieg verlässliches Mitglied der NATO, und die amerikanische Regierung von George W. Bush kann sich in ihrer aggressiven Außenpolitik auch nach Silvio Berlusconis Abwahl auf die italienische Regierung verlassen. Romano Prodi will die traditionell enge militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit Italiens mit den USA nicht gefährden.
Bei dieser Kumpanei spielt die Partei Rifondazione Comunista (PRC) eine besonders abstoßende und zynische Rolle. Seit dem 17. Mai 2006 ist Rifondazione Teil der Prodi-Regierung und stellt im Kabinett einen Minister (Paolo Ferrero), eine stellvertretende Ministerin und sechs Staatssekretäre.
Wie nicht anders zu erwarten, hat Prodi auch abgelehnt, mit Staatsanwalt Armando Spataro bei der Anklageerhebung gegen die CIA-Agenten zu kooperieren, die in Zusammenarbeit mit dem italienischen Militärgeheimdienst SISMI die illegale Entführung und "Überführung" von Abu Omar organisiert haben. Das Haupthindernis für einen erfolgreichen Prozess gegen die CIA-Agenten ist Prodis Haltung, der wichtige Informationen über die Zusammenarbeit zwischen der CIA und dem italienischen Militärgeheimnis zum Staatsgeheimnis erklärt hat.
Obwohl Rifondazione behauptet, sie lehne Krieg ab, und einige ihrer führenden Politiker an der jüngsten Demonstration in Vicenza teilnahmen, bleibt sie in der Regierung. Als Romano Prodi die Mitglieder seines Kabinetts aufforderte, der Demonstration fernzubleiben, da die Regierung schließlich "nicht gegen sich selbst demonstrieren" könne, hielten sich die Minister an das Verbot und schickten andere Rifondazione-Vertreter nach Vicenza.
"Unser Ziel ist nicht, die Prodi-Regierung zu stürzen, sondern sie zu veranlassen, eine falsche Entscheidung zurückzunehmen", behauptete Oscar Mancini, CGIL-Sekretär (der kommunistischen Gewerkschaft) von Vicenza. Giovanni Russo Spena, Senatsfraktionsführer von Rifondazione, sagte, heute protestiere man radikal "gegen die Entscheidung, die US-Basen zu verdoppeln". Er warnte die Regierung, sie werde durch ihre sture Haltung anderthalb Millionen Wählerstimmen verlieren.
Oliviero Diliberto von der Partei der italienischen Kommunisten (PDCI) bestand darauf, es sei "keine Demonstration gegen die Regierung". Ihm widersprach Luca Casarini von der Organisation der Disobbedienti (Ungehorsamen): "Die Demonstration richtet sich schließlich nicht gegen unbekannt’."
In Wirklichkeit stellte die Demonstration der Regierung ein vernichtendes Zeugnis aus. Die klare und überwältigende Aussage lautete: Keine weiteren Kriegsvorbereitungen, keine Truppen - weder italienische noch amerikanische - in Afghanistan, im Irak oder im Libanon. Die Regierung kümmert sich nicht drum.
Um die wachsende öffentliche Unzufriedenheit mit der Prodi-Regierung zu beschwichtigen haben einige Senatoren von Rifondazione am gestrigen Mittwoch im Senat gegen eine Resolution gestimmt, die die Außenpolitik der Regierung begrüßt, oder haben sich enthalten. Die Abstimmung wird speziell als Hindernis gesehen, die Zahl der italienischen Truppen in Afghanistan zu erhöhen. Im Moment hat Italien 1.900 Soldaten als Teil der Nato-Truppen in Afghanistan im Einsatz. Die Abstimmung vom Mittwoch macht es unwahrscheinlich, dass die Regierung der Anfrage der Nato nach einer Aufstockung des italienischen Kontingents entsprechen kann, obwohl die Kämpfe sich vor allem im Süden Afghanistans verschärfen.
Rifondazione hat schon klar gemacht, dass sie keineswegs prinzipiell gegen den Einsatz der italienischen Armee ist. Vor gerade einmal einem halben Jahr gab sie ihre Zustimmung zur Entsendung der italienischen Marine vor die libanesische Küste als Teil der UNIFIL-Mission und unterstützt diesen Einsatz auch jetzt noch. Rifondazione ist durchaus bereit, dem Einsatz italienischer Truppen zuzustimmen, wenn ihre Führung eine solche Mission für im Interesse des italienischen Staates hält.